Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Estomihi, 1. Kor. 13, 1-13

 

 

Begrüßung:

 

Mit nachfolgenden Gedanken von Dorothee Sölle ist inhaltlich alles zu unserer heutigen Predigt gesagt, liebe Gemeinde:

           

Vergleiche ihn ruhig

            mit anderen größen

sokrates

rosa luxenburg

gandhi

er hält das aus

besser ist allerdings du vergleichst ihn

mit dir

 

Er aber sprach: Dein Glaube hat dir geholfen... (Lukas 7,50b)

 

 

Gebet:

 

Herr, unser aller Gott! Mit diesem Sonntag stehen wir nun wieder kurz vor der Passionszeit. Damit sind wir daran erinnert, mit welch einer grenzenlosen Liebe wir von dir geliebt sind. Du sagst dein Ja zu uns, ganz gleich, wie wir leben, wie klein unser Glaube und wie groß unser Zweifel oft ist. Du stehst zu uns, auch wenn uns die Liebe oft fehlt, die Liebe zu dir, die Liebe aber auch zu anderen Menschen. Dabei haben wir alle schon einmal die Liebe erfahren – von unseren Eltern, unseren Partnern, den Kindern. Oft haben wir aber auch eine verletzende Lieblosigkeit erleben müssen. Wir danken dir für das Geschenk deiner Liebe, für das Geschenk einer jeden Liebe in unserem Leben.

 

Herr, lass uns glauben, darauf vertrauen und Schritt für Schritt leben lernen, dass unser Glaube und die Hoffnung unsere Liebe zu dir und zu unseren Mitmenschen hüten.

 

So danken wir dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, die St. Laurentius Pfarrei, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt... Amen.

 


 

 

Wenn ich die Sprachen aller Menschen spreche und sogar die Sprache der Engel, aber ich habe keine Liebe - dann bin ich doch nur ein dröhnender Gong oder eine lärmende Trommel. Wenn ich prophetische Eingebungen habe und alle himmlischen Geheimnisse weiß und alle Erkenntnis besitze, wenn ich einen so starken Glauben habe, dass ich Berge versetzen kann, aber ich habe keine Liebe - dann bin ich nichts. Und wenn ich all meinen Besitz verteile und den Tod in den Flammen auf mich nehme, aber ich habe keine Liebe - dann nützt es mir nichts.

 

Die Liebe ist geduldig und gütig. Die Liebe eifert nicht für den eigenen Standpunkt, sie prahlt nicht und spielt sich nicht auf. Die Liebe nimmt sich keine Freiheiten heraus, sie sucht nicht den eigenen Vorteil. Sie lässt sich nicht zum Zorn reizen und trägt das Böse nicht nach. Sie ist nicht schadenfroh, wenn anderen Unrecht geschieht, sondern freut sich mit, wenn jemand das Rechte tut. Die Liebe gibt nie jemand auf, in jeder Lage vertraut und hofft sie für andere; alles erträgt sie mit großer Geduld.

 

Niemals wird die Liebe vergehen. Prophetische Eingebungen hören einmal auf, das Reden in Sprachen des Geistes verstummt, auch die Erkenntnis wird ein Ende nehmen. Denn unser Erkennen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn sich die ganze Wahrheit enthüllen wird, ist es mit dem Stückwerk vorbei. Einst, als ich noch ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, ich fühlte und dachte wie ein Kind. Als ich dann aber erwachsen war, habe ich die kindlichen Vorstellungen abgelegt. Jetzt sehen wir nur ein unklares Bild wie in einem trüben Spiegel; dann aber schauen wir Gott von Angesicht. Jetzt kennen wir Gott nur unvollkommen; dann aber werden wir Gott völlig kennen, so wie er uns jetzt schon kennt.

 

Auch wenn alles einmal aufhört - Glaube, Hoffnung und Liebe nicht. Diese drei werden immer bleiben; doch am höchsten steht die Liebe.

 


Liebe Gemeinde!

 

 

„Niemals wird die Liebe vergehen...,“ so sagt es Paulus in seinem großartigen neutestamentlichen „Hohenlied der Liebe“. Theoretisch mag das ja stimmen, doch wie sieht das praktisch aus? Was sagt jemand, der von seinem Partner verlassen wurde und nun in einen jahrelangen Rechtsstreit verwickelt ist, um die Finanzen zu klären, oder – oft viel problematischer - um das Sorgerecht für die Kinder, wenn es gemeinsam nicht mehr möglich ist? Was fühlen Menschen bei einem solchen Satz, deren Liebe vom Tod eine endgültige Grenze gesetzt bekam? Was Mütter, die mit der schwierigen Situation der Pubertät ihrer Kinder nicht klarkommen und bei aller Liebe nicht verstehen können, was in ihrer Familie geschieht?

 

Natürlich wird die Liebe immer bestehen, sie ist das große, einzigartige Geschenk Gottes an den Menschen. Natürlich lieben wir unseren Mann, unsere Frau, unsere Kinder, unsere Eltern, wir lieben hoffentlich unseren Beruf und manche Freunde, die uns in unserem Leben in allen Lebenssituationen begleiten. Wir lieben bestimmte Landschaften oder unser Wohnzimmer. Wir lieben Gott. Jeder Mensch liebt, und doch kennt ein jeder von uns die Trauer, wenn es einmal nicht so läuft mit der Liebe, wie sie uns Paulus so hymnisch beschreibt.

 

Wie oft werde ich als Pfarrer in den über 30 Jahren meines Dienstes über diesen Text bei Taufen, Konfirmationen, Trauungen, Beerdigungen und in Sonntagsgottesdiensten gepredigt, wie viele Menschen werden sich gerade dieses Wort für einen ganz bestimmten Anlass im Leben gewünscht haben, um über diesen Text und aus ihm Gott selbst zu hören? Doch wie hören wir dieses Feuerwerk an Gedanken und unterschiedlichsten Aussagen über die Liebe? Was blieb uns in Erinnerung, was bewegte uns in Bezug auf die Liebe? Ein Wort ragt immer aus diesen 13 Versen heraus, es ist der Schlusssatz: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen...“

 

Jeder von uns wünscht sie sich, die Liebe, jeder von uns kennt sie von Kindesbeinen an, als die Liebe der Eltern zu ihren Kindern und umgekehrt, die eigene Liebe zu den Eltern. Jeder von uns kennt sie als das berühmte „Kribbeln im Bauch“, wenn wir einem anderen Menschen begegnen, mit dem wir auf welche Weise auch immer eine Beziehung eingehen. Jeder von uns weiß aber eben auch um die Gefährdungen der Liebe und darum muss immer wieder einmal sehr nüchtern - und ohne jede romantische Verzerrung - über sie nachgedacht werden. Denn das große moderne Problem der Liebe ist, dass wir sie durch eine ganz bestimmte, von der Romantik geprägte Brille sehen und damit heute oft scheitern. Unsere Lebensbedingungen haben sich längst verändert, die Herausforderungen an die Liebe zu Gott oder die Liebe zu einem anderen Menschen fordern uns in einer ganz anderen Weise heraus.

 

Die im vergangen Jahr verstorbene Theologin Dorothee Sölle sagte einmal: „Je ernsthafter sich einer auf die Liebe einlässt, desto gewisser sind ihm Schmerzen. Sie macht wehrlos, und eben das fürchten wir. Eine leidlose Liebe wäre Spielerei, sie erlischt...“ [1] Damit zeigt sie auf, dass zur Liebe eine große Sensibilität gehört, die Bereitschaft zu einem aktiven Handeln aus einem ganz bestimmten Geist heraus. Das heißt: Wer Gott oder einen anderen liebt, muss nachdenken. Für eine solche, schier grenzenlose Liebe steht das Kreuz Jesu.

Er liebte einerseits seinen Gott, andererseits seine Mitmenschen so, dass er mit allen Konsequenzen, also bis in seinen Tod hinein, liebte.

 

Als ich jetzt diesen bekannten Text der Bibel wieder einmal für meine Predigt las, blieben meine Gedanken erstmals an dem Bild vom „trüben Spiegel“ hängen: „Jetzt sehen wir nur ein unklares Bild wie in einem trüben Spiegel; dann aber werden wir Gott schauen von Angesicht zu Angesicht. Jetzt kennen wir Gott nur unvollkommen, dann aber werden wir Gott völlig kennen, so wie er uns jetzt kennt...“ Wer liebt, steht vor einem unergründlichen Rätsel, das gilt auch für unsere ganz und gar menschliche Liebe, die Erfahrung, dass da jemand ist, der mir sagt, dass ich ein geliebter Mensch bin – so, wie ich bin.

 

Das ist es doch, dass wir alle ganz toll über die Liebe reden können, ganze Romane über sie geschrieben, Lieder komponiert, Reime verfasst und Filme gedreht wurden und eben doch vor einem der großen Rätsel unseres Lebens stehen. Wir können sie – wie Paulus - in geistreichen Worten beschreiben, doch was sie eigentlich ist, können wir bestenfalls ahnen, wenn wir sie geschenkt bekommen, erleben dürfen. Beweisbar, so, wie ich einen rationalen Beweis für eine physikalische Formel erbringen kann, ist die Liebe nicht. Sie bleibt auf das Vertrauen angewiesen. Da ist jemand, der sagt mir, dass er mich liebt und ich habe nichts als sein Wort und ein bestimmtes Gefühl, darum vertraue ich seinem Wort und meinem Gefühl. Das ist alles andere als ein Beweis. Hier spüren wir, wie synonym, wie sinnverwandt, die Begriffe Liebe und Glaube sind, beweislos - und doch Gott sei Dank, faktisch als Vertrauen zu Gott und zu einem anderen Menschen vorhanden.

 

Wir müssen bedenken, dass es im Griechischen drei Begriffe für das eine deutsche Wort „Liebe“ gibt (Eros, Charis und Agape), welche alle drei eine sehr unterschiedliche Bedeutung haben. Paulus geht es mit seinen Überlegungen natürlich nicht um eine sich selbst suchende Liebe.

 

So reden wir viel zu schnell und viel zu unbedacht von der Liebe, von der Liebe zu Gott, seiner Liebe zu uns und von der Liebe, die wir geschenkt bekommen oder anderen schenken. Wir sind ganz schnell dabei Gott oder andere Menschen auf ein ganz bestimmtes Bild festzulegen. Wir fixieren uns auf ein ganz bestimmtes, erwünschtes Bild, das wir uns von einem anderen machen. Wir legen ihn aber damit auf unsere Vorstellungen hin fest.

 

In der Literatur finden wir für diese Frage sehr schöne Beispiele. Einerseits geht es dort darum, dass wir uns kein Bild von einem anderen Menschen (Max Frisch) machen, um ihn nicht auf dieses Bild hin festzulegen. Wir sollen uns ja z.B. gerade kein Bild von Gott machen, deshalb bleibt er uns jetzt ja auch noch so rätselhaft, schemenhaft, als würden wir in einen „trüben Spiegel“ schauen. Er bleibt uns unfasslich. So sollen wir uns eben auch kein Bild von einem Menschen machen, denn immer würden wir Gefahr laufen, ihn auf dieses Bild hin zu fixieren.

 

Wir finden aber auch das Gegenbeispiel, dass wir uns nämlich – gerade umgekehrt - einen Entwurf, einen Plan vom Menschen machen müssen (Bert Brecht). So geht es also bei der Liebe um beides, einerseits sollen wir uns kein Bild machen, weil es den anderen Menschen festlegen würde.

Andererseits müssen wir uns ein Bild machen, das uns zu immer neuen Aktivitäten im Umgang miteinander herausfordert, uns geradezu zwingt, uns gemeinsam zu entwickeln, an unseren Hoffnungen für eine Beziehung, die von der Liebe geprägt ist, zu arbeiten.

 

Und was tat Jesus selbst? Er tat wirklich beides, denn er nahm die Menschen, wie sie nun einmal waren, ohne sie darauf festzulegen, und lebte doch mit der Hoffnung, dass sie fähig sein könnten, sich zu ändern. So galt für Jesus, dass der Glaube und die Hoffnung die „Liebe hüten“ (Sölle). Jesus weiß um die Ohnmacht der Liebe und wir wissen ja leider auch nur allzu leidvoll darum, dort, wo wir ihre Grenzen im Leben erfahren haben.

 

Darum gilt, dass der Glaube und die Liebe sich nicht voneinander lösen lassen, warum aber beides eben auch nicht ohne die Hoffnung erlebt werden wird. Und so beschreibt Paulus die Liebe als etwas unglaublich Zukunftsgerichtetes, denn – und nun können wir das Bild vom „trüben Spiegel“ ein wenig besser verstehen – wir erfahren sie voller Spannungen, mal sind wir ganz und gar aktiv und gefordert, ein anderes mal wird sie uns geschenkt, ohne dass wir irgend etwas für sie getan hätten und immer sind der Glaube und die Hoffnung mit der Liebe unaufgebbar verwoben. Fehlt der Glaube, so fehlt uns sehr bald das Vertrauen in eine Beziehung, fehlt die Hoffnung, so ist die Liebe schnell zukunftslos am Ende, und wo in unserem Leben gar die Liebe fehlt, werden wir einsam.

 

Lesen wir das „Hohelied der Liebe“, so spüren wir, wie sehr sich alles um die Liebe dreht, wie sehr sie uns fordert und dabei doch ein unverfügbares Geschenk ist und bleibt, das schließlich und endlich in der Liebe Gottes gipfelt. Sie ist der Grund unserer Liebe zueinander. Aber auch hier, wir spüren es alle, gilt, was der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel in seinem großangelegten Buch „Gott als Geheimnis der Welt“ so ausdrückt: „Insofern Gott und Mensch einander lieben, kommt auch zwischen ihnen die Ohnmacht der Liebe zur Erfahrung. Doch (der) Glaube ist das Vertrauen darauf, dass der liebende Gott zugleich die Liebe selber ist...“ [2].

 

Wir alle werden hoffentlich einmal in unserem Leben geliebt haben und geliebt worden sein. Dabei werden wir, wie ahnungslose Kinder, gelegentlich unser Leben, Gott, andere Menschen, Situationen, ja selbst die Liebe, „wie ein unklares Bild wie in einem trüben Spiegel“ erfahren haben. All das stellt uns jeden Tag neu an einen Anfang, drängt uns dazu, das Leben mit all seinen Erfahrungen niemals aufzugeben und bis an den letzten Tag darauf zu hoffen, dass wir von anderen und von Gott geliebte Menschen sind. So hüten bis zum letzten Atemzug unseres Lebens der Glaube und die Hoffnung unsere Liebe. Gott schenke uns diese Erfahrung. Amen.

 

Liebe Gemeinde! Können wir das paulinische „Hohelied der Liebe“ in einer Predigt recht erfassen? Nein, ich jedenfalls kann es nicht. Darum bleibt uns dieses Wort, das so viele von uns schon im Leben begleitet hat und in der Zukunft noch begleiten wird offen und zukunftsweisend, ja es fordert uns zu einem aktiven Nachdenken heraus, damit es eben nicht einfach nur wohlklingende, aber dennoch verblichene Worte auf Tauf- oder Konfirmationsurkunden sind. Holen wir diese Worte in unser Leben hinein und versuchen wir sie - so gut es uns gelingt - mit Leben zu erfüllen. Es lohnt sich, weil es in der Liebe – wie Paulus sie uns beschreibt – vielschichtig und differenziert um Gott selbst und um die Menschen geht, mit denen wir unser Leben teilen.

 

 

 

 

Literatur:

 

1) Sölle, D., Atheistisch an Gott glauben, Olten, 19704, S. 101

2) Jüngel, E., Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen, 19824, S. 469

 

Rieger-Grau, K., Calwer Predigthilfen, 1997/1998, Reihe II/1, Stuttgart, 1997, S . 136f

 

 

 

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